06.07.2007

Von Objekten ohne Nummer zu Ohne-Nummer-Nummern



Bericht zur Veranstaltung, 05.07.07, 18.00 Uhr

Elisabeth Egger im Gespräch mit Elisabeth Timm
Moderation: Klara Löffler

Klara Löffler weist eingangs darauf hin, dass das was hier besprochen wird, in einem Museum eigentlich nicht vorkommen darf: Objekte die keine Nummer haben. Positiv formuliert birgt der Zustand auch Vorteile. Denn wenn die Geschichte fehlt, können oder müssen an deren Stelle Interpretationen und neue Assoziationen Platz greifen.

Elisabeth Egger stellt den umfassenden Wirkungsbereich der Inventarnummern im Museum dar. An ihnen hängt alles, dort werden die Beziehungen festgemacht, dort beginnen die Verweise, die das Ding in allen Bereichen musealer Dokumentation verankern.
Komplette Bezugssysteme stellen allerdings eine Idealsituation dar und sind selten.
Warum aber gibt es Objekte ohne Nummern?
Dafür gibt es mehrere Gründe: Sie kommen in das Haus, niemand hat Zeit sie zu inventarisieren, die Zeiten waren schlecht, man war nicht sorgsam, sie werden verstellt, Teile brechen ab, bestehende Nummern verblassen – und sie geraten in Vergessenheit.

Elisabeth Timm bringt einen kurzen Exkurs auf die Wunderkammern des 16./17. Jhdt. Ausstellung und Magazin waren identisch, es gab keine Ordnung nach Nummern sondern nach religiösen bzw. weltanschaulichen Kriterien. Jedes Objekt lag an einem fixierten Ort, die Frage nach zukünftigen Sammlungsstrategien war durch die Abgeschlossenheit solcher Sammlungen nicht relevant. Durch die Verwissenschaftlichung der Sammlungsarbeit im 17. /18. Jhdt. entstehen neutralere Ordnungen durch Nummern, neue Sinnordnungen können sich entwickeln.

Was passiert aber wenn die Objekte aus den Sinnordnungen herausfallen? Die Last der „Ohne Nummern Dinge“ muss bewältigt werden. Man versucht zunächst gleiches zu ordnen. Kisten werden mit Teilen gefüllt, neue Zuordnungen entstehen. Über allem schwebt der temporäre Nummernkreis – die „Ohne Nummer Nummern“. In der Kombination der Beschäftigung mit diesen Ansammlungen und dem Alltag der Recherche in Archivalien entstehen neue Vernetzungen der Dinge.

Elisabeth Timm interessiert sich für die plötzlich notwendigen ästhetischen Ansätze zur Neuinterpretation der Objekte, wenn nämlich Serien aus gleichartigen Dingen entstehen und auf deren Einordnung warten.

Das Entdecken von unbekannten Dingen, wenn deren Funktion nicht präsent ist, lässt Assoziationen und freiradikale Ansätze entstehen – das Spiel mit Geschichte und Kontext beginnt. Aber solche Dinge machen auch nervös, denn irgendwie möchte man diese Anhäufungen auch beherrschen. Letztendlich strebt man als Museumsindividuum auch nach der absoluten Ordnung.

Müssen wir Ordnungen durch Kontinuität und Langfristigkeit in der Personalpolitik erhalten? Die Digitalisierung der Daten schafft hier neue Ordnungen, die von der Person des/r Verwalters/in abstrahieren.
Ordnung und Erfassung sind zwei Dinge. Zunächst müssen die Dinge einmal erfasst werden, welche Ordnungen später entstehen ist laut Franz Grieshofer eine sekundäre Angelegenheit.
Jedoch entstehen laufend „Ohne Nummern Nummern“, da sich der Museumsalltag auf die umfassende Arbeit der Inventarisierung negativ auswirkt. Im Museum für Volkskunde ist man jedoch intensiv bemüht, bei allen Neuzugängen Basisinventarisierungen durchzuführen.

Wichtig ist, über assoziative Zuordnungssysteme nachzudenken. Datenbanken bedürfen einer „Emotionalisierung“ der Daten, welche Auskunft über das Lebensschicksal des Objekts geben. Man kann von der Neugeburt eines Dings in der Sammlung sprechen. Eine Lebensgeschichte entwickelt sich: mit einer Herkunftsgeschichte, mit Krisen im Depot, Höhepunkten im Display, Normalität in der Hand des/r Kurators/in, mit Reisen, Erfahrungen – all den Kontexten zwischen Herstellung, Gebrauch, Display und Depot. Aber wo hört das auf?

Wie kann das Museum Objekte in ihrer Unordnung wieder abstoßen? Kann ein Museum vergessen? Das Wiener Stadt- und Landesarchivs hat beispielsweise das „Vergessen“ in sein Leitbild eingeschrieben.
Wegwerfen, Verkaufen und Tauschen – ist das ein Weg zur Erleichterung der Sammlungen? In den 1920er Jahren wurden einzelne Sammlungsgegenstände des Museums aus verschiedenen Gründen veräußert. Nach dem II. Weltkrieg hat kein Ding mehr die Sammlung verlassen. Eine Zeit lang wurden viel zu viele Dinge angenommen. Sammeln muss heute strikter und konzipiert geschehen.

Ist das Ausscheiden und Veräußern von Dingen ein Tabu? Ja, es sollte vor der Öffentlichkeit verborgen sein, denn die politisch/gesellschaftliche Reaktion hätte negative Auswirkungen auf das Museum. Letztendlich würde man sagen, dass man durch Verkäufe die Eigenfinanzierung verstärken und durch Ausscheidung die infrastrukturellen Bedingungen entlasten könnte.

Menschen und Dinge leben im Museum an einem Ort – eine Koexistenz, geschrieben entlang einer Geschichte der Thesauri. Das ist noch einmal ein Hinweis auf die Frage nach neu zu denkenden Zuordnungssystemen.

Matthias Beitl

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