10.09.2007

BERICHT: Sinnlichkeit










In der Reihe Geschichten aus dem Museumsalltag stellt die Vortragende Claudia Peschel-Wacha am 30. August 2007 zunächst anschaulich die FÜNF SINNE (Tasten, Schmecken, Riechen, Sehen und Hören) anhand von Definitionen seit der Antike und Darstellungen in der bildenden Kunst im Verlauf der letzten Jahrhunderte vor. In diesem Zusammenhang kommt sie auf ein im Volkskundemuseum befindliches Objekt zu sprechen: die berühmte Völkertafel aus dem 18. Jahrhundert. Dort sind auch kuriose sinnliche Eigenschaften wie die „Zärtlichkeit der Griechen“ oder die „Wollust der Engländer“ vermerkt. Da ab der Neuzeit „Sinnlichkeit“ verstärkt mit Erotik gleichgesetzt wurde, ist es nachvollziehbar, dass in der christlichen Kunst die Darstellung der Sinne eher kurz kommt. Frau Peschel-Wacha bittet daher das Publikum um Mithilfe bei ihrer Suche nach ikonographischen Beispielen und legt eine Leseliste zum Thema auf. Bei ihrer Recherche ist sie auch auf genderspezifische Aspekte gestoßen – wie etwa die Klassifizierungen in so genannte „höhere“ und „niedere“ Sinne, wobei erstere (das Hören und Sehen) eher als männlich betrachtet und letztere (das Schmecken, Riechen und Tasten) eher als weiblich angesehen werden.

Sie referiert über den sinnlichen Umgang mit Dingen bei der Produktion, bei der Verwendung und beim Sammeln. Der Großteil der im Museum befindlichen Objekte hat alle drei Stadien durchlebt, doch einige, etwa Töpferware, sind direkt vom Erzeuger ins Keramikdepot gelangt. Es folgen Impulse für ein anschließendes Publikumsgespräch: „Sterben“ die Gegenstände durch den Verlust sinnlicher Kontakte bei der Lagerung in einem Depot? Darf ein Museumskustos im Gegensatz zum Sammler beim Umgang mit Objekten Emotionen haben? Ist fehlende menschliche Wärme ein Grund für lustvolles Sammeln von Gegenständen? Empfinden wir, die wir im Besitz von unzähligen Dingen sind, heute noch Zuneigung für sie?

Claudia Peschel-Wacha plädiert für Wellness im Museum durch verstärkte Sinnestätigkeit beim Besuch einer Ausstellung und sieht es als Aufgabe der Kulturvermittlung, Wahrnehmungen aus verschiedenen Sinnen zu bieten, um ein Bewusstsein für die Eigenschaften der Gegenstände zu schaffen. Sie liefert Geschichten aus der Praxis der Belebung der Sinne bei Gruppenprogrammen im Museum und überrascht mit unter den Sitzen versteckter Keramik. Das Publikum folgt gerne ihrer Einladung, die Objekte zu „streicheln“, dem Klang der Dinge zu lauschen, den spezifischen Geruch der ungebrannten Objekte zu erkennen, die „Kusshäferln“ oder „zerwutzelten Vasen“ untereinander zu tauschen, zu kommunizieren. Das Publikum ist sogleich im Gespräch vertieft: ein gelungener „be-greifender“ Workshop!

Gegen Ende Ihrer Ausführungen verweist sie auf Richtlinien für einen verbesserten Zugang von Menschen mit Seh- bzw. Hörbehinderungen sowie mit Migrationshintergrund, die zur Zeit mit Unterstützung von Kultur Kontakt Austria von Expertinnen erarbeitet werden. Im November werden sie im Rahmen eines museum_inside_out Aktionswochenendes präsentiert. Es folgen etliche Wortmeldungen aus dem Publikum: Ob wissenschaftliches Arbeiten ohne Emotionen überhaupt möglich sei? Wie es zu der Trennung in „höhere/niedere“ Sinne kam, und wieso wieder einmal das Schöpferische/Künstlerische dem Manne vorbehalten bleibt. Darauf reagieren in einer Wortmeldung sowohl Elisabeth Timm („Es gäbe eben eine unterschiedliche Betrachtung des kulturellen Lebens von Mann und Frau“) als auch Peter Kukelka („Kunstbegriff sei heute anders, einen „Homo Faber“ wie früher gäbe es heute nicht mehr“).
Als Überleitung zum Impulsreferat am 6. September mit dem Bibliothekar Hermann Hummer folgt eine weitere Einladung: zum Schnüffeln von in Samt oder Leder gebundene Bücher oder solche, wo der Holzwurm Spuren hinterlassen hat. Wie fühlen sie sich an? Wie riechen sie? Wieso hat das Buch mit dem Titel „Erotik“ ein Plastikcover mit Reißverschluss?
Katharina Richter-Kovarik

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