11.09.2007

Bericht: Geschichten aus dem Museumsalltag / Hermann Hummer: „Keine Ahnung!“


Donnerstag, 6. September 2007, 18.00 Uhr

Wie kommen die vielen Bücher in die Bibliothek?

Sammeln, sammeln, sammeln. Viel kommt ins Haus und normalerweise nichts mehr außer Haus. Dinge werden einer Autopsie unterzogen und verzeichnet. Nicht nur um sie später wiederfinden zu können, sondern auch um den Besitzanspruch an diesem Ding festzuschreiben.
Man vergibt Inventarummern, seziert, riecht, stempelt, beschriftet, liebt, verwahrt, streichelt, sucht, findet, bietet an, präsentiert.
Ich genieße den detektivischen Umgang mit den alltäglichen Irritationen meines Bibliothekarberufes, die Überraschungen die an vielen Ecken einer labyrinthischen Bibliothek lauern können.
Das Auftauchen verschollen geglaubter Dinge zum Beispiel. Wie gezeigt anhand des Objektes mit der Inventarnummer 163 N:34 [=“Situations Plan Litt. B. Zum Stadt Erweiterungs Plan von Wien]. Wie man aus dem Auditorium hören konnte, höchstwahrscheinlich ein Unikat, ein Beitrag des Architekten Ludwig Christian Försters zu dem im Jahre 1858 stattgefundenen Ideenwettbewerb für die Verbauung der Befestigungsanlagen rund um die innere Stadt Wien.
Der zweite Teil des Abends war einer langwierigen Suche nach Albert Wesselski gewidmet.
Das Volkskundemuseums besitzt eine Menge Bücher dieses Märchenforschers. Anfängliche Recherchen zur Person Wesselskis waren von Neugier und Frustration getragen. Nirgendwo in der einschlägigen Handbibliothek fand ich diesen Menschen verzeichnet oder geehrt. Und leider sind wichtige Enzyklopädien und Lexika in ihrer Bearbeitung noch nicht beim Buchstaben W angekommen.
Was macht diesen Autor, Herausgeber, und Kommentator vieler Werke so interessant?
Nun, viele Bücher seiner Bibliothek, welche das Österreichische Museum für Volkskunde über Umwegen in seinen Bestand integrieren konnte, sind mit seinen Notizen versehen.
Die wenigen von mir über ihn aufgespürten Eckdaten möchte ich hier zur Kenntnis bringen.
Albert Wesselski, geboren 1871 in Wien gestorben 1939 in Prag. Lt. Definition in Kürschners dt. Literaturkalender von 1917 ein deutsch-österreichischer Schriftgelehrter, bewandert in vergleichender Literaturwissenschaft und hist. Volkskunde.
Am 13. Juli 1935 an der Uni Graz als Privatdozent zur Lehre zugelassen, fiel er ebendort 1938 aus rassischen Gründen in Ungnade und wurde von dieser Universität entfernt. Seine Bibliothek wurde einem von Karl von Spieß geleiteten Institut für Mythenforschung in Wien eingegliedert. Ein Teil der Bibliothek dieses Institutes wurde nach dem Krieg dem Volkskundemuseum überlassen.
Neuerer Rezeption zufolge zeigte Wesselski revolutionäre Ansätze in seinen Forschungsarbeiten zur Gattung Märchen. Sein Denken versucht man in die zeitgenössische europäische Kunst- und Kulturtheorie einzubetten und sein Versuch einer Theorie des Märchens soll die Methodik der Märchenforschung Anfang der Dreißiger Jahre des 20. Jhdts. schulbildend beeinflusst haben
Viele Fragen stellen sich, die zu beantworten vielleicht eine lohnende wissenschaftliche Forschung fähig wäre.
Unter welchen Umständen, in welcher persönlichen Verfassung stirbt Wesselski am 2. Februar 1939 in Prag.
Wie verlief der Weg der Bibliothek Wesselskis von seiner Eingliederung in ein mehr als fragwürdiges Institut bis hin zur „Teil“-übernahme durch die Bibliothek des Volkskundemuseums.
Wann ist die Eingliederung in das Institut für Mythenforschung passierte?
Hat Wesselski von sich aus seine Arbeitsbibliothek dem Institut überantwortet?
Oder geschah diese Eingliederung erst nach seinem Ableben?
Welchen wissenschaftlichen Wert stellen die oft mit handschriftlichen Notizen versehenen Bücher dar? Darin finden sich immer wieder beigelegte Zeitungsausschnitte, fein säuberlich beschriebene Notizzettel, Briefe etc.
Vielleicht wird das Material eines Tages aus seinem wissenschaftlichen Dornröschenschlaf geweckt. Ein erster Schritt meinerseits wurde hiermit gesetzt.

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